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A woman (late thirties) leaves home and drives to a hotel to encounter the man who raped her twenty years before … film as a radical, borderline experience. Uncompromising in content and form. (Production notes)

 

Eine schier unerträgliche Lautnotiz vor Schwarzbild: Auf dem Band eines Anrufbeantworters vermittelt sich Schmerz in qualvoller Klarheit, etwas, das sich nicht in definierte Worte fassen lässt. Möglicherweise ließe sich die Unmöglichkeit der Artikulation als Antrieb dieses namenlosen Films festmachen; dieses direkt in der Kamera geschnittenen film trouvé, der in seiner formalen Rohheit eine regelrecht gnadenlose Unmittelbarkeit suggeriert und dabei doch nichts sagen kann. Weil die Sprache
– und mit ihr Kino und Kunst – angesichts tiefer Traumata versagen muss.
Wie die Protagonistin ihr Zuhause, ihre Umwelt und in weiterer Konsequenz ihre Konfrontation mit dem Äußersten auf Video bannt, zeugt von einer tief sitzenden Verlorenheit, von einem Unbehagen an jedem Ort. Unschärfen durchziehen das Bild, mehrfach verweilt die Kamera beiläufig oder wird beiseitegelegt. Sie ist dokumentarisches Behelfsgerät. Nichts sonst.

 

In einem Hotelzimmer verharrt sie am Schreibtischrand, während ein handschriftlich verfasster Text vielleicht ein letztes Mal überflogen wird. Minutenlang gestikulieren die Hände der Autorin zu ihrem poetischen wie vergeblichen Versuch über das Unaussprechliche, dem Reflexionsprotokoll einer Entfremdung. Es ist dies eine Übung in Dauer, wie sie nur das Kino zu formulieren imstande ist. Wenn man könnte, wollte man sich als Zuseher/in der Intimität zweifelsohne entziehen – wegsehen, weghören –, doch man kann nicht. So wie auch die Drastik der bevorstehenden Tat für die namenlose Protagonistin unumgänglich ist. Möglicherweise aber die letzte verbliebene Möglichkeit, den erfahrenen Schmerz doch noch zu artikulieren. Kino als radikale Grenzerfahrung. Kompromisslos in Inhalt und Form. (Sebastian Höglinger)

 

Der erste Moment eines Schmerzes steht als seismografische Notiz am Anfang des titellosen Films, da auch Schmerz an sich keinen Namen hat. Danach werden retrospektiv die schöpferischen Möglichkeiten von Schrift, Bild und Musik vorgestellt, Notizen eines gescheiterten Versuchs, diesen Schmerz auszudrücken … Als konsequente Folge wird die Protagonistin, namenlos wie der Film, vom Opfer zur Täterin, um sich dem Trauma direkt am Ort der Tat zu stellen. Der Film beschreibt auch, warum Kunst als schöpferisches Mittel der Bewältigung von Schmerz seit jeher existiert und schließlich doch nicht ausreicht, um der Einsamkeit unserer Vorgeschichte Herr oder Frau zu werden. (Ludwig Wüst)

 

Neue Filme von Peter Kern, Ludwig Wüst und Christian Frosch finden sich ebenso im Programm. Den Regisseur zum Verschwinden zu bringen, das ist seit Jahren ein Projekt von Ludwig Wüst. Sein neuer Spielfilm kommt ohne Titel aus und zielt mit seiner Kurzbeschreibung "Frau trifft Vergewaltiger nach zwanzig Jahren" auf die Magengrube. (Maria Motter, fm4 - Diagonale 2015, Graz, 06.03.2015)

 

Diagonale

(Diagonale 2015 - Filme A bis Z, Graz, März 2015)

 

Reise ins Weiß

Kinder träumen diesen Traum: In ein Bild einsteigen wie in eine Landschaft, die Realität hinter sich lassen, um in etwas Gemaltes einzutauchen. In „(Ohne Titel)“ sind es verschneite Berge und Täler, in die man sich versenkt, das Bild einer schlafenden Natur, ein Bild der Ruhe, aber auch der Kälte. Da haben wir sie schon gehört, die Stimme am Anrufbeantworter, die verzerrt auf der akustischen Ebene, zu einem Schwarzbild, weint und jammert. Wem gehört sie?
Es muss eine Botschaft aus weit entfernter Vergangenheit sein: Die Protagonistin von „(Ohne Titel)“ ist jetzt zu gefasst, um sich so gehen zu lassen. Sie, Ende dreißig, ist aufgebrochen, um, nach zwanzig Jahren, ihren Vergewaltiger wieder zu treffen. Die verschneiten Bäume sind Bilder der Seele, in der eisige Kälte herrscht. Jeder Schritt knirscht auf dem gefrorenen Schnee, birgt die Gefahr, bis zu den Knien einzusinken in vergangene Gefühle. „(Ohne Titel)“ ist ein Traum, aber von einer genuinen Fleischlichkeit: Der Körper eines Mannes wird vermessen, als gelte es, ein Pfund herauszuschneiden. Und vermessen wäre es, im Traum alles durchzudeklinieren: „(Ohne Titel)“ lebt genauso von dem, was nicht gezeigt wird, wie von dem, was zu sehen ist. Die Zwischen(t)räume rücken in den Geist des Betrachters.
Zunächst ist es die märchenhafte verschneite Landschaft, die verführt und verstört zugleich. Ein Traum, der zu einem Albtraum wird. Der Grenzen überschreitet. Die Protagonistin hat zu Recht nichts vergeben, nichts vergessen. Wie eine Hofmannsthal’sche Elektra scheint sie zu rufen: „Ich bin kein Vieh, ich kann nicht vergessen!“ Die Reise durch die verschneite Landschaft eröffnet diese Geschichte der Vergeltung. An ihrem Ziel angekommen, dem verschneiten Semmering, scheint keine Gegenmaßnahme geeignet, um den Durst nach Abrechnung zu löschen: Minutenlang versucht die Hauptfigur, mittels eines Textes, den sie auf ein Blatt Papier schreibt, sich zu befrieden. Vergeblich: Der Text, den sie schreibt, ist so dicht wie kaum einer, aber er kann ihre Not nicht lindern, einzig der Tod. Wie könnte Prosa auch geeignet sein, in diesem Fall Satisfaktion zu geben? Das Scheitern ist immanent.
Die Protagonistin beginnt, den Mann zu belauern, zu umkreisen, zu verfolgen. Scheinbar eine Streunerin in gottverlassener Umgebung, ist sie doch viel eher eine Jägerin, vom Wild einst schwer verwundet, ein Ahab im menschenleeren Schnee, bereit, mit dem Gejagten notfalls unterzugehen: Nur die (Hand-)Kamera begleitet die Hauptfigur auf allen ihren Wegen, weicht, freundschaftlich und komplizenhaft, nicht von ihrer Seite.
Die Rache ist mein!, sprach die Herrin. Sie wird furchtbar sein. Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. War die erste Einstellung schwarz, wird eine der letzten nun weiß sein. Und aus dem kalten Winter wird zum Schluss dieses Traumes Frühling. Ein Verbrechen ist gerächt. Aus dem Weiß wird aufgewacht. (Otmar Schöberl)

 

 

Wenn die Kamera auf ein Bild mit verschneiter Alpenlandschaft schwenkt, taucht sie bald ein in eine reale Welt, die poetisch und traumatisch gleichzeitig ist. Die Heldin taumelt durch die eisglatten Dorfstraßen des Semmerings, und es bleibt kaum zu beantworten, ob wir der biblischen Judith oder einer verlorenen kafkaesken Figur begegnen. Durch die Verdichtung von Bild und Sprache entsteht eine traumhafte Wirklichkeit, die eine ausgesprochene Fleischlichkeit definiert. Wie zuletzt Jean-Luc Nancy in seinem Essay „Vom Schlaf“ den Traum als eine Verkehrung des Körpers nach Innen beschreibt, so fährt auch die Kamera in „(Ohne Titel)“ entlang der Glieder, als würde sie jeden Zentimeter der Körper vermessen wollen, um in die Eingeweide zu dringen. Die Suche nach sich selbst, nach einem vergangenen Verbrechen führt unmittelbar zum nächsten. Eines der radikalsten Werke von Ludwig Wüst, in dem das Bildmaterial sich mit der Fleischlichkeit des Körpers misst. (Aneta Bialecka)

 

 

Wenn der Regisseur verschwindet

Auch dieses Jahr erlebt ein experimenteller Spielfilm von Ludwig Wüst seine Uraufführung auf der Diagonale: eine titellose, intim gestaltete Erzählung über eine traumatisierte Frau auf einer Reise in eine winterliche Bergwelt.

Eine Frau, Opfer einer Vergewaltigung, bricht auf zu einer Reise, sie sucht eine Konfrontation mit dem Täter. Mit der Eisenbahn durchquert sie die tiefverschneite Landschaft des Semmering-Gebietes, in der Nähe des Ziels nimmt sie Quartier. Es ist dies auch eine innere Reise: Unterwegs ordnet sie ihre Gedanken, redigiert Manuskriptzeilen, die ihr, wenn es dazu kommt, eine Hilfestellung bei der Konfrontation sein sollen. Es ist ein langsamer, suchender Prozess.

Buchstäblich sehr alleine war auch die Schauspielerin Gina Mattiello: Die Kamera bediente sie durchgehend selbst, sonst war niemand zugegen, nichts lockerte die gedämpfte, winterliche Stimmung auf. Das Resultat ist allerdings kein reiner Point-of-View-Film: Mehrfach legt sie die Kamera zur Seite, bewegt sich vor ihr oder rund um sie, nur in wenigen Situationen hat sie sich entschlossen, ihr Gesicht zu zeigen.

Filmstill aus '(ohne Titel)' von Ludwig Wüst

Copyright Klemens Koscher; Ein Nebeneinander zwischen Schauspielerin und Kamera

 

Sieben Jahre Vorbereitung

Die Beschreibung mag an ein schnell entschlossenes, improvisiertes Filmprojekt denken lassen, doch dem war überhaupt nicht so, erläutert Regisseur Ludwig Wüst im Gespräch. Mattiello war 2006 Darstellerin in seinem Film „Zwei Frauen“, kurz danach begann die Arbeit an jenem Projekt, das nun in Graz - ohne einen spezifischen Filmtitel - uraufgeführt wird. Gespräche mit einer von einer Vergewaltigung Betroffenen standen am Anfang, langfristig wurde in Texten und Proben ausgelotet, welche äußere und innere Dramaturgie der Reise entsprechen kann.

Es ist dies für Wüst die vierte Diagonale-Uraufführung in fünf Jahren. Seine minimalistischen Spielfilme beschreibt er als „Arbeit am Verschwinden des Regisseurs“. Bei Heiner Müller borgte er sich den Gedanken, dessen Bedeutung verschiebt sich: Hat der deutsche Theaterregisseur darin eine Skepsis gegenüber dem Regietheater verpackt, verfolgt Wüst, selbst ein Veteran der Bühne, damit seine Absicht, Schauspielarbeit ganz ins Zentrum zu stellen. Nach ausführlichen Probearbeiten sollte alles besprochen sein, der Regisseur als potenzieller Störfaktor braucht und soll nicht mehr am Set sein.

Facetten des Schauspiels

„Tape End“ war 2011 der Auftakt der Serie: Eine starre Kamera überblickt ein Wohnzimmer, darin lässt ein Theaterregisseur eine Schauspielerin zum Vorsprechen antreten, Vorgeschichten entladen sich in einem heftigen psychischen und körperlichen Showdown - wohl aus Distanz zu sehen, aber in fordernder Echtzeit. Körperlich meditativer war „Das Haus meines Vaters“ (2012) angelegt: Diskret folgt die Kamera den Wanderbewegungen eines Mannes durch ein eben geerbtes kleines Häuschen im ländlichen Südostösterreich, folgt ihm, wie er herauszufinden versucht, ob er zu dem Gebäude und dessen Umgebung noch einen Bezug haben kann.

„Abschied“ (2014) zeigt ein klärendes Gespräch zweier Frauen an einem Küchentisch. Angelehnt an Michael Snows Avantgardefilm-Klassiker „Wavelength“ von 1967 zoomt eine starre Kamera im Verlauf einer halben Stunde langsam, aber stetig von einer Totalen zum Detail. Daraus ergibt sich als Konsequenz, dass wo am Anfang des Zooms die Bewegung im Raum das ausschlaggebende Gestaltungsmittel des Schauspiels war, es an dessen Ende auf die Mimik und auf kleine Gesten ankam. Nun eine Weiterführung: Mattiello - keine filmerfahrene Schauspielerin im engeren Sinne, sondern mit Performance und Musiktheater als Hintergrund - erarbeitet sich die Entwicklung ihrer Protagonistin mit fragmentarischen Körperbewegungen, vor allem durch Stimme und Gestik.

Filmstill aus '(ohne Titel)' von Ludwig Wüst

Copyright Klemens Koscher; Arbeit am Fragmentarischen - etwa einer Handbewegung

In einer langen Schlüsselszene wird in Nahaufnahme von der seitlich liegenden Kamera die Überarbeitung der niedergeschriebenen Notizen gezeigt, mit abrupten Gesten werden Passagen davon verworfen oder Ergänzungen dazugekritzelt - all das in Kontrast zu den unterschiedlichen, zielvollen Wanderungsbewegungen im Freien: eine stimmige Dramaturgie angesichts eines Porträts einer fundamentalen Verunsicherung.

Langfristige Projektplanung

Ludwig Wüst, in Bayern geboren und seit 1987 in Österreich heimisch, hatte sein Spielfilmdebüt „Koma“ 2009 noch mit konventioneller Dramaturgie gedreht, mit der darauf folgenden experimentellen Serie nutzt er konsequent die Möglichkeiten des Digitalformats. Eine Serie mit geplantem Ablaufdatum: Der jetzt uraufgeführte Film entstand Anfang 2013, irgendwann soll ein Zwillingswerk mit dem Titel „Dialog“ nachfolgen. Ein weiterer Film, fix vorgesehen für eine Uraufführung im Jahr 2016, ist bereits abgedreht und befindet sich in der Postproduktion: „Heimatfilm“ soll Material aus 18 Jahren beinhalten und, so Wüst, den „Abschluss einer Werkphase“ bedeuten.

Das darauf folgende Filmprojekt - für „Letzte Fahrt“ liegt das Drehbuch bereits vor, ab Spätherbst 2015 wird gedreht - soll den Beginn einer neuen Phase bedeuten, mit einem eventuell weniger dichten Premierenrhythmus. Wüsts letzte Filme gelangten außerhalb der Diagonale nur punktuell zur Aufführung - mit einer Länge von jeweils knapp über einer Stunde sind sie nach gängigen Kriterien dafür auch zu kurz -, nicht zuletzt deswegen scheint eine gebündelte Präsentation zu einem gegebenen Zeitpunkt sinnvoll.

(Hans Christian Leitich, ORF.at, März 2015)

 

 

Diagonale 2015: Ein Festivaltagebuch aus Graz

 

Mittwoch, 18.3.

18 Uhr, UCI Annenhof, Saal 6. Ein namenloser Film steht an. Er arbeite an der „Abschaffung des Regisseurs“, sagt Ludwig Wüst, der Mann, der „(Ohne Titel)“ erdacht hat, kühl. Die Kamera drückte er seiner Hauptdarstellerin (Gina Mattiello) in die Hand und ließ sie die fiktive Reise, von der dieser Film berichtet, ohne ihn aufzeichnen – freilich exakt nach seinen visuellen Vorgaben. Wüst gehört zu den radikalsten Vertretern des neuen österreichischen Kinos. Lineares Erzählen verweigert er konsequent zugunsten von Unschärfen, Spiegelungen, bloßen Andeutungen des späten Vergeltungsschlags einer vor Jahrzehnten vergewaltigten Frau. Die spröde, zwischen Wahrnehmungsexperiment und klassischem Autorenfilm changierende Form, die Wüst wählt, ist der seelischen Krise der Heldin angemessen. „(Ohne Titel)“ lotet filmische Basisprobleme aus: die Zusammenhänge von Schrift und Stimme, Körper und Psyche, Licht und Raum.

(Stefan Grissemann, profil.at, 21.03.2015)

 

Wir verließen also das Kino in der Hoffnung auf Besserung und plötzlich verdunkelte sich der Himmel: Sonnenfinsternis. Menschen versammelten sich, um in das Licht zu sehen, gerade weil es sich verändert. Liegt hier also das Geheimnis des Kinos, die Deformation des Bekannten? Die Diagonale lieferte dafür einige Beweise. Warum sollten wir hinsehen, wenn alles normal ist oder wie in Ludwig Wüsts (Ohne Titel) auf einem Gedanken von Marguerite Duras basierend, gesagt wird: Hätte ich dieses Verbrechen nicht begangen, würden Sie sich nicht für mich interessieren.  Am Abend zuvor strahlte ein grüner Lichtkegel quer über das Stadtzentrum von Graz. Ein Lichtspiel, das mit unserer Wahrnehmung spielte. Es scheint kein Entkommen zu geben. Also wagten wir uns durch die überfüllten Foyers wieder zurück in die Kinos.


(Regisseur Ludwig Wüst und Moderatorin Daniela Ingruber; Copyright: Diagonale/Klaus Pressberger)

(Patrick Holzapfel, kino-zeit.de, 26.03.2015)

 

"... Bekannt für Eigenwilliges ist beispielsweise Ludwig Wüst, der in Graz seinen neuen Film «(Ohne Titel)» vorstellt. " (Walter Gasperi, kultur-online.net, 17.03.2015)

 

 

furche

(Furche, 11./12.03.2015)

furche

(Furche, 11./12.03.2015)

 

“Starting with the feature (Ohne Titel) by Ludwig Wüst. As a film director he is constantly working on his disappearance, in order to bring the work of actors completely to the center and attention of his films. This time he based his film on the pure camera work of his main actress Gina Mattiello. Prior conversations between the director, the cinematographer Klemens Koscher and Mattiello herself nailed the expectations that Wüst had but the results, of course, later went all different than expected. And Wüst exactly aimed for that. He is also using a little “catalogue trick“, mentioning there that “a woman in her late thirties leaves home and drives to a hotel to encounter the man who raped her twenty years before…“. Well, the story we see then seems to be somehow different: The change of seasons, the woman’s observation of not only one man, porn scenes on the TV and the lyrical handling of the female narrating voice gives me the impression of treating the delicate subject of a female rapist. So as an audience, how much of your expectations lead you to the cinema and finally influence you in “consuming“ a story you believe to witness on the big screen?”

(Claudia Siefen, desistfilm weblog, 25.03.2015)

Ein Film ohne Titel und die Fortsetzung einer Serie. Wie schon in Tape End, Das Haus meines Vaters und Abschied dreht sich auch Ohne Titel um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um emotionale Verwerfungen, die ein Leben bestimmen. Eine Frau bricht auf, um nach zwanzig Jahren ihren Vergewaltiger zu konfrontieren. Sie fährt durch eine weiße Schneelandschaft und quartiert sich in einem Hotel ein, um sich dort der Vergangenheit zu stellen. Es ist eine intensive Reise, bei der die äußere Bewegung der inneren Entwicklung entspricht, die Frau wird von dem Trauma getrieben, während sie es gleichzeitig austreibt. Wüst entwickelt für diese sehr intime Erzählung eine Art von „Wahrnehmungsexperiment“, das bewusst mit Spiegelungen, Ausschnitten, Unschärfen und Unklarheiten spielt. Alles konzentriert sich dabei völlig auf die Darstellerin Gina Mattiello, die auch die Kamera selbst führt. Der Film beschränkt sich allerdings nicht nur auf ihre Perspektive, sondern ihr Körper wird in Fragmenten auch selbst immer wieder sichtbar, es sind kleine Bewegungen und Gesten und ihre Stimme, die diese enorme persönliche Verunsicherung spürbar und sichtbar werden lassen, der man sich auch als Zuseher/in schmerzhaft aussetzen muss. Ohne Titel ist ein weiterer Film von Ludwig Wüst jenseits aller herkömmlichen Zuordnungen, ein Film als Suche und als kompromisslose Grenzerfahrung, wie immer außergewöhnlich!

(Barbara Pichler, Direktorin der Diagonale)